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Von der Postmoderne lernen:

50 Jahre Realismus in der Architektur

Ein Reisestipendium aus dem Friedrich Stipendien-Fonds der ETH Zürich

Aus dem Vorwort des Reiseberichtes:

 

Dieser Bericht ist das Ergebnis zweier Reisen, die im Sommer 2015 und 2016 stattgefunden haben. Sie waren Teil meiner Beschäftigung mit dem Realismus in der Architektur, entstanden in diesem Zusammenhang vor allem aber aus einem speziellen Interesse an den Arbeiten von Aldo Rossi, Robert Venturi und Denise Scott Brown.

 

Mit dem Reisestipendium der Friedrich Stipendien-Fonds erhielt ich zum Ende meines Studiums an der ETH Zürich im Dezember 2014 die Möglichkeit, neben dem praxisnah angelegten Projekt der Masterarbeit noch einen inhaltlich frei gewählten, theoretischen Abschluss meiner Ausbildung zu finden. Dieser ist klar aus subjektivem Interesse angeregt und dennoch geprägt von meiner Zeit an der Hochschule. Als Schüler von Miroslav Šik und Hans Kollhoff habe ich mich in den Jahren meiner Lehre mit der Architekturgeschichte und ihren Formen auseinandergesetzt. Aus einem Interesse an den Erscheinungen des Alltags, einem beinahe szenografischem Narrativ und der bewussten Anspielung auf das im kollektiven Gedächtnis gespeicherte Vergangene sind an diesen Lehrstühlen so Entwürfe entstanden, die in ihrer Poetik stets vom konventionellen Leben erzählen sollten. Eine Poetik, die manchen vielleicht idealisiert oder doch zu banal erschien, der ihre Verankerung im Konkreten und Gewöhnlichen aber auch eine Kraft verlieh.

 

Die Arbeit am Projekt war so stets auch eine Arbeit im Bild und damit am Ausdruck und der spezifischen Stimmung der Architektur in ihrem Kontext. Referenzen halfen, das Vorgefundene neu zu entdecken und frisch zu interpretieren. Der geführte Stadtspaziergang durch Aussersihl oder das Treiben auf der Josefswiese an einem Samstag Nachmittag, Palladio in Padua oder das Geräusch des Regen auf den Dächern des Waldfriedhofes von Gunnar Asplund – all diese Erlebnisse konnten als Ressource genutzt werden. 

 

Bei der Projektarbeit in den Entwurfsklassen erschien es mir stets wichtig, das eigene Handeln auch als Haltung zu verstehen und als solche zu schärfen. So entstand das Interesse an den theoretischen wie historischen Hintergründen der Lehren, mit denen ich mich identifizierte. Im Zuge dieser Beschäftigung erkannte ich die Tradition, in der sich meine Ausbildung befand.

 

Mit der Analogen Architektur und den ihr nahestehenden Gesinnungen wurden über Jahrzehnte hinweg ganze Generationen von Schweizer Architekten ausgebildet, von denen viele wiederum selbst zu Lehrern wurden. Eine weit zurückreichende Verbindung, an deren Anfänge nicht nur Aldo Rossi, sondern auch Robert Venturi und Denise Scott Brown stehen. Sie waren wohl der Anstoss einer Bewegung, die ihre Relevanz und grundsätzliche Ausrichtung bis heute nicht verloren hat. Haben sie vielleicht selbst durch ihre Bauten vergleichsweise nur wenig bewirkt, so wurden ihre Schriften doch weltweit zur Begründung einer neuen Architekturrichtung. Diese Energie weht bis heute durch die Zeichensäle auf dem Hönggerberg, dem Ort der Architekturfakultät an der ETH Zürich.

 

Meine Reise war keine Forschungsreise, wie man sie nach streng wissenschaftlichen Kriterien vornehmen würde. Sie ist ein Fundus, ein inspirierender Wühltisch, sehr subjektiv und stellenweise vielleicht sogar etwas zufällig. Sie war geprägt von den visuellen Eindrücken, aber auch den kontextuellen Erfahrungen. Sie fokussiert auf die Bauwerke in einem Umfang, wie man sie in keiner Monographie zu sehen bekäme: den ruinösen Zustand der Schulen von Aldo Rossi, die rückseitige Fassade des Guild Houses von Venturi Scott Brown. Die kommentierte Fotoserie, die sich in diesem Reisebericht findet, gibt diese Entdeckungen wieder. Ergänzt wird sie durch Zitate und ganze Artikel der Architekten, aber auch von ihren Kritikern und Sekundärliteratur von Architekturhistorikern. Sie betten die Projekte ein und geben die zum Verständnis wichtigen Erklärungen und Hinweise. 

 

Darüber hinaus waren diese Texte zum grossen Teil aber auch selbst Auslöser und Inspirationsquelle für die Reise. So war es ein Anliegen, nicht durch das gebaute Werk der Architekten zu besuchen. Viel mehr sollte anhand ihrer Schriften der zum Verständnis der Arbeiten so wichtige Kontext, in dem sie entstanden waren, nachempfunden werden. In der Wissenschaftlichen Selbstbiografie von Aldo Rossi oder in Learning from Las Vegas von Venturi Scott Brown fanden sich diese Hinweise, weshalb die Reise in Italien beispielsweise auch zum San Carlone am Lago Maggiore, die USA-Reise auch nach Levittown führte. 

 

Es war die Entdeckung des stark vom christlichen Glauben und der Omnipräsenz seiner gebauten Geschichte geprägten Norditaliens, die das Interesse des im Neorealismo aufgewachsenen Aldo Rossis an der Permanenz der Stadt und den Formen des kollektiven Gedächtnisses eindrucksvoll verständlich machte.

 

Auf der anderen Seite war es das Erlebnis der Kreativität einer auf Konsum und Schnelllebigkeit basierten amerikanischen Gesellschaft, die das Interesse an den populären Formen von Venturi Scott Brown nachvollziehbar begründete. 

 

Die Möglichkeit, die im allgemeinen Verständnis zu lange verpönten Formen der sogenannten «Postmoderne» nicht auf Grund rein ästhetischer Werte zu beurteilen, sondern vielmehr ihre umfangreichen Hintergründe und gesellschaftliche Relevanz zu verstehen, wirft ein völlig neues Licht auf diese Werke. Es war der Blick des Historikers und des Soziologen, der diese Reise erst zu einem Gesamtbild vervollständigt hat und der die Besonderheit dieser Herangehensweise ausmacht. In diesem Bericht sind die Quellen hierzu verzeichnet, genauso die Adressen und Routen. Sie mögen jedem Interessierten eine Grundlage sein, die Wege durch Norditalien und die USA selbst nachzuvollziehen.

 

Die Recherche, das Lesen der Texte und Quellen, die Auswahl und schliesslich auch die konkrete Erfahrung in Form der Reise waren eine unglaublich erfüllende und inspirierende Beschäftigung, die für mich persönlich meine Ausbildung vervollständigt und abschliesst. Sie war aber auch eine Bereicherung für den Blick auf die zeitgenössische Architekturdebatte, haben sich die grundlegenden Fragestellungen und Probleme in den letzten 50 Jahren doch nur scheinbar geändert. Mögen die Zugänge von Aldo Rossi und Venturi Scott Brown auch unterschiedlich sein, sie sind doch geprägt von der Geschichte und erfüllt vom Leben. Davon lässt sich viel lernen.

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